Versorgungsmedizinische Grundsätze

GdB-Tabelle nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV)


Merkzeichen aG

Merkzeichen aG

Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) befinden sich jetzt in § 229 Abs. 3 SGB IX.

Den Text finden Sie aber dennoch hier auf versorgungsmedizinische-Grundsätze.de

Dieser lautet wie folgt:

§ 229 Abs. 3 SGB IX:

Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht.

Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.

Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind.

Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen.

Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt.


Leitsätze Merkzeichen aG

Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung iS des § 229 Abs 3 Satz 2 SGB IX ist anhand der beim Verlassen eines Kraftfahrzeugs typischerweise vorzufindenden Umgebungsverhältnisse zu bestimmen. Diese umfassen insbesondere den öffentlichen Verkehrsraum mit all seinen potentiell mobilitätsbeschränkenden Widrigkeiten, wie zB Bordsteinkanten, abfallenden oder ansteigenden Wegen und Bodenunebenheiten. Die Fähigkeit, ausschließlich in einer idealen Umgebung ohne Unebenheiten zu gehen, steht der Annahme einer solchen Beeinträchtigung nicht entgegen. Dies folgt aus dem Wortlaut der Norm, dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens aG, dessen Regelungsgeschichte sowie dem Ziel des SGB IX, volle, wirksame, gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft zu fördern.

Festzuhalten ist daran, dass die genannten Tatbestandsmerkmale keinen vollständigen Verlust der Gehfähigkeit verlangen, sondern auch ein - ggf erst durch orthopädische Versorgung ermöglichtes - Restgehvermögen zulassen. Die Gehfähigkeit muss aber so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen

Allerdings stellt § 229 Abs 3 SGB IX wie auch die früheren Regelungen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur "mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung". Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an - erfüllt, kann das Merkzeichen aG auch dann beanspruchen, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt.

BSG 9. Senat 09.03.2023 B 9 SB 1/22 R


Der GdB "für" die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung ist ausgehend von den Grundsätzen und Funktionssystemen der VMG mit Rücksicht auf den Zweck des Merkzeichens aG, die stark eingeschränkte Gehfähigkeit durch Verkürzung der neben der Kraftfahrzeugbenutzung unausweichlichen Wegstrecke auszugleichen, unter Berücksichtigung aller Beeinträchtigungen zu bilden, die sich nachteilig auf die Gehfähigkeit auswirken.

Eine Beschränkung auf bestimmte Gesundheitsstörungen, etwa des orthopädischen Fachgebiets, hat zu unterbleiben. Denn eine außergewöhnliche Gehbehinderung kann nicht nur in einer Beeinträchtigung der Beine, sondern beispielsweise auch in einer Störung der Herztätigkeit, der Lungenfunktion, neurologischen Beeinträchtigungen, weiteren Gesundheitsstörungen oder in einer Kombination derselben begründet sein.

BSG 9. Senat 09.03.2023 B 9 SB 8/21 R


Wie der erkennende Senat wiederholt ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes individuelles Restgehvermögen darüber hinaus griffig, dh durch einfache, konkrete Messgrößen, weder quantifizieren noch qualifizieren. Die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich (insbesondere Parkerleichterungen) auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt.

Dabei kann ua Art und Umfang schmerz- oder erschöpfungsbedingter Pausen von Bedeutung sein. Denn schwerbehinderte Menschen, die in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sind, müssen sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen. Die für "aG" geforderte große körperliche Anstrengung kann zB erst dann angenommen werden, wenn selbst bei einer Wegstreckenlimitierung von 30 Metern diese darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach dieser kurzen Strecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weiter gehen kann.

Für neurologische Erkrankungen wie Anfallsleiden hat das BSG in der Vergangenheit allerdings darauf hingewiesen, dass die dauernde Gefahr des Eintretens einer außergewöhnlichen Gehunfähigkeit infolge von Anfällen nicht dem dauernden Fortbestand der außergewöhnlichen Gehunfähigkeit gleichzusetzen ist und eine einer hochgradigen Einschränkung der Herzleistung oder Lungenfunktion vergleichbare Beeinträchtigung erst bei einer gleichbleibenden Häufigkeit von Anfällen erreicht wird, die "ständig" einen Rollstuhl erforderlich macht.

BSG 9. Senat 16.03.2016 B 9 SB 1/15 R


Ein behinderter Mensch ist außergewöhnlich gehbehindert (Merkzeichen aG), wenn er sich nur mit Hilfe eines Rollators (Gehwagen) fortbewegen kann und bereits nach 20 bis 30 Metern so erschöpft ist, dass er eine Pause einlegen und neue Kräfte sammeln muss, bevor er weiter gehen kann.

Landessozialgericht Baden-Württemberg 8. Senat 21.01.2005 L 8 SB 5109/03


Rechtsprechung Merkzeichen aG

Die Voraussetzungen für die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung sind seit dem 1. Januar 2018 in § 229 Abs. 3 SGB IX (für die Zeit vom 30. Dezember 2016 bis zum 31. Dezember 2017 wortlautidentisch in § 146 Abs. 3 SGB IX a.F.) normiert. Danach sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem GdB von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleichkommt.

Das BSG hat die Regelung über die Anerkennung der Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ ihrem Zweck entsprechend stets eng ausgelegt. Daran hat der 9. Senat des BSG in den beiden jüngst ergangenen Urteilen vom 9. März 2023 ausdrücklich festgehalten (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 2023 – B 9 SB 1/22 R – juris Rn. 24; BSG, Urteil vom 9. März 2023 – B 9 SB 8/21 R – juris Rn. 24). Auch durch die Neuregelung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) ab dem 1. Januar 2018 (BGBl. I S. 3234) soll der bewährte Grundsatz übernommen werden, nach dem das Recht, Behindertenparkplätze zu benutzen, nur unter engen Voraussetzungen eingeräumt werden darf. Dies begründet sich daraus, dass Parkraum in den Innenstädten nicht beliebig vermehrbar ist und die Behindertenparkplätze der eigentlichen Zielgruppe unter den schwerbehinderten Menschen vorbehalten bleiben müssen. Ihren Ausdruck im Gesetzestext findet diese Anknüpfung an die zur alten Rechtslage entwickelten Grundsätze in der Übernahme der Formulierung "dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können" in § 229 Abs. 3 Satz 2 SGB IX (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 2023 – B 9 SB 1/22 R – juris Rn. 24; BSG, Urteil vom 9. März 2023 – B 9 SB 8/21 R – juris Rn. 24 unter Verweis auf BT-Drucks. 18/9522 S. 318).

Ebenso hat das BSG an der Auslegung des Begriffs einer dauernden Beeinträchtigung festgehalten. Das Erfordernis einer großen Anstrengung oder des Angewiesenseins auf fremde Hilfe muss daher praktisch von den ersten Schritten außerhalb des Kraftfahrzeugs an erfüllt sein (BSG, Urteil vom 9. März 2023 – B 9 SB 8/21 R – juris Rn. 25 mwN).

Festgehalten hat der 9. Senat des BSG aber auch an der Rechtsprechung, dass die genannten Tatbestandsmerkmale keinen vollständigen Verlust der Gehfähigkeit verlangen, sondern auch ein – ggf. erst durch orthopädische Versorgung ermöglichtes – Restgehvermögen zulassen. Die Gehfähigkeit muss aber so stark eingeschränkt sein, dass es dem Betroffenen unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 2023 – B 9 SB 1/22 R – juris Rn. 25). Allerdings stellt § 229 Abs. 3 SGB IX wie auch die früheren Regelungen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeugs zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur "mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung" (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 2023 – B 9 SB 1/22 R –, juris Rn. 25 mwN). Die für das Merkzeichen "aG" geforderte große körperliche Anstrengung kann zum Beispiel dann angenommen werden, wenn selbst bei einer Wegstreckenlimitierung von 30 Metern diese darauf beruht, dass der Betroffene bereits nach dieser kurzen Strecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 SB 1/15 R – juris Rn. 19 mwN). Wer diese Voraussetzung – praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an – erfüllt, kann das Merkzeichen aG auch dann beanspruchen, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG, Urteil vom 9. März 2023 – B 9 SB 1/22 R – juris Rn. 25).

Hessisches Landessozialgericht 3. Senat 28.01.2025 L 3 SB 18/19


Ein Zustand nach Hirnblutung mit einer verbleibenden Hemiparese und typischem Gangbild (Wernicke-Mann-Typ) rechtfertigt nicht die Feststellung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung, wenn auch ohne Rollstuhl noch eine ausreichende Mobilität vorliegt. Es genügt nicht, dass außerhalb der Wohnung und für längere Wegstrecken ein Rollstuhl genutzt werden muss.

Dr. E. und der behandelnde Hausarzt Dr. P. haben zwar über ein typisches Gangbild bei Hemiparese berichtet (Wernicke-Mann-Fortbewegungsbild), das die Mobilität des Klägers einschränkt. Nach dem Pflegegutachten vom 20. August 2008 ist das Gangbild allerdings nur leicht spastisch. Die Hemiparese betrifft vor allem die linke obere Extremität. Diese Einschätzung wird auch durch das neurologische Gutachten des Dr. E. bestätigt, der eine Hemiparese der linken obere Extremität proximal (Kraftgrad 3), aber noch einen Kraftgrad 4 im Bereich des linken Beines feststellen konnte. Auch unter Berücksichtigung der Einschränkungen der oberen Extremitäten und der beidseitigen Gonarthrose ist beim Kläger nicht von einer außergewöhnlich schweren Gehbehinderung im Sinne des Merkzeichens aG auszugehen. Dr. E. hat in der Gesamtwürdigkeit nur über eine minimale Verstärkung durch die Gelenkveränderungen berichtet, die nicht die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung rechtfertigt. Auch der Kläger hat bei der gutachtlichen Untersuchung mitgeteilt, die Einschränkungen bestünden schon seit dem Jahre 2006 und hätten sich nicht wesentlich geändert. Damit kann aufgrund der in den Jahren 2012 und 2013 festgestellten degenerativen Knieerkrankungen nicht von einer wesentlichen Zunahme der Einschränkungen der Gehfähigkeit ausgegangen werden.

Von einer Einschränkung der Gehfähigkeit praktisch von den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeuges kann auch nicht ausgegangen werden, weil der Kläger nach der gutachtlichen Einschätzung ohne Gehhilfe und ohne Pause 20 Meter und mit Gehhilfe 50 Meter - ebenfalls ohne Pause - zurücklegen kann. Mit Zuhilfenahme des Stocks mit 4 Bodenstützen ist er in der Lage 100 Meter zurücklegen, wenn er kurze Erholungspausen zur Verhinderung von Stürzen einlegt. Er ist damit auch ohne seinen Rollstuhl noch so mobil, dass nicht von einer außergewöhnlichen Gehbehinderung ausgegangen werden kann. Da keiner der in diesem Verfahren beteiligten Ärzte aufgrund der weiteren Erkrankungen des Klägers (Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Niereninsuffizienz) Auswirkungen auf die Gehfähigkeit des Klägers feststellen konnte, sind insgesamt die vorliegenden Gehbehinderungen in ihren Auswirkungen nicht mit denen vergleichbar, für die nach Abschnitt II Nr.1 VwV-StVO zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO eine außergewöhnliche Gehbehinderung anzunehmen ist.

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 7. Senat 16.07.2014 L 7 SB 47/12


Rechtsprechung Merkzeichen aG Parkinson

1. Personen, die an der Parkinson-Krankheit leiden, haben Anspruch auf Merkzeichen "aG", wenn sie sich wegen der Schwere ihrer Erkrankung dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können (Anschluss an BSG vom 11.08.2015 - B 9 SB 2/14 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 19).

2. Dem Erfordernis ständiger Rollstuhlbenutzung kommt für Merkzeichen "aG" bei Parkinson wesentliche Bedeutung zu (Anschluss an BSG vom 13.12.1994 - 9 RVs 3/94 - SozR 3-3870 § 4 Nr 11 und vom 29.1.1992 - 9a RVs 4/90 - Behindertenrecht 1992, 91).

BSG 9. Senat 16.03.2016 B 9 SB 1/15 R